Ein umfassendes Problem: Die Klimakrise ist eine soziale Krise

Die Klimakrise führt zu Problemen weltweit. Naturkatastrophen wie Wirbelstürme, Dürren oder Überschwemmungen prägen den Alltag gewisser Bevölkerungsgruppen, während andere einen tieferen Preis zahlen. Und einige den Preis nicht einmal kennen. Dieser Artikel beleuchtet die Dimensionen dieser Ungerechtigkeiten – zeitlich, räumlich, sozial.

Das Haus brennt. Das Unglück bahnt sich schon lange an. Im obersten Stock wohnt eine hochschwangere Frau mit Familie, im Parterre ein alleinstehender Arzt, dazwischen Junge und Alte, Arme und Reiche, Gesunde und Kranke. Den Schaden des Hausbrandes werden alle Bewohner*innen tragen müssen. Doch wer kann sich und seine Habseligkeiten aus eigenen Kräften vor dem Feuer retten? Für wen kommt alle Hilfe zu spät? Wer hat das Feuer verursacht und wer sollte welche Verantwortung übernehmen?

Seit mehr als einem Jahrhundert wachsen verschiedene materielle Flüsse des globalen Systems rapide. Doch das gegenwärtige Wirtschaftswachstum kommt nicht allen zugute, sondern führt zu sozialen Ungleichheiten: „Success to the successful and less success to the already unsuccessful”, wie es “The Limits to Growth. The 30-Year Update“ beschreibt [1]. Gleichzeitig ist das gegenwärtige Wirtschaftswachstum stark mit dem Ausstoss von Treibhausgasen verknüpft. Wer von den gegenwärtigen Strukturen profitiert und die Klimakrise am stärksten mitverursacht, gehört nicht zu denen, die am meisten unter den Folgen leiden.

Durch die Klimakrise werden bestehende Ungerechtigkeiten verschärft und neue geschaffen. Der Klimawandel erhält dadurch eine ethische Ebene, welche durch die Klimagerechtigkeit aufgegriffen wird. Diese fragt danach, wer verursacht, wen die Folgen treffen und welche Verantwortungen daraus resultieren. Und zwar in ihren drei Dimensionen: zeitlich, räumlich, sozial.

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Die zeitliche Dimension

„You say you love your children above all else and yet you are stealing their future in front of their very eyes“. Greta Thunberg nennt an der COP24 in Polen die Fakten: Bis heute wurde zu wenig unternommen, um gegen die Klimakrise vorzugehen. Das zeigt sich besonders in Bezug auf das Erreichen des Zwei-Grad-Klimaziels: Mit der gegenwärtigen Klimapolitik übersteigen wir die vorindustrielle globale Durchschnittstemperatur bis Ende dieses Jahrhunderts um deutlich mehr als 2°C. Dabei darf die maximale Erwärmung nur 1.5°C betragen [2]. Die Folgen bekommen vor allem junge Menschen und zukünftige Generationen zu spüren. Daher sind Massnahmen nötig, die jetzt umgesetzt werden – anstatt diese aufzuschieben und zukünftigen Generationen aufzubürden.

Die räumliche und soziale Dimension

In der räumlichen Dimension zeigt sich, dass sich Regionen nicht nur stark in ihrem Einfluss auf den Klimawandel, sondern auch in ihrer Betroffenheit unterscheiden. Dabei sind die verursachenden Regionen meist nicht die, die die Konsequenzen tragen. Im Zusammenspiel mit sozialen Faktoren bestimmen regionale Voraussetzungen, wie stark ein Mensch den Folgen ausgesetzt ist.

Besonders die Tropen und Subtropen, der Bereich von Mexiko bis Nord-Argentinien, Indien, Südchina und Afrika werden vermehrt unter den Folgen leiden. Eine der verheerendsten Folgen ist die Wasserknappheit: Sollte sich die Durchschnittstemperatur der Erde um 2°C erwärmen, bedeutet das, dass sich die Anzahl von Wasserknappheit betroffener Menschen von 271 auf 388 Millionen erhöht [3]. Auch der Temperaturanstieg ist nicht in allen Ländern gleich stark. In Subsahara-Afrika wird dieser beispielsweise deutlich höher sein als im globalen Durchschnitt.[2]

Zusätzlich zur geographischen Lage ist auch die Vulnerabilität einer Region entscheidend.  Landwirtschaftlich geprägte Länder des Globalen Südens sind von klimatischen Veränderungen besonders betroffen, da sie direkt von natürlichen Ressourcen abhängig sind. Dürren und andere Extremwetterereignisse betreffen nicht nur Menschen direkt, auch Pflanzen leiden darunter. Der steigende Meeresspiegel führt zu Überflutung tief gelegener landwirtschaftlicher Nutzflächen – wie weite Teile Bangladeschs oder Flussdeltas wie das des Nils. Dies führt zur Versalzung von landwirtschaftlichen Flächen und macht sie für die Lebensmittelerzeugung unbrauchbar. Die Veränderungen der Temperaturen und der Vegetationsperioden können sich ebenfalls auf die Ausbreitung von bestimmten schädigenden Arten auswirken, die sich wiederum auf den Ernteertrag auswirken. Schon jetzt hat die Landwirtschaft Einbussen zu verzeichnen und die Produktion wird besonders in tropischen und subtropischen Breiten, deutlich zurückgehen [3]. Dies führt zu höheren Agrarpreisen und gefährdet die Ernährungssicherheit in diesen Regionen.

Ärmere Länder und Gesellschaftsschichten sind vom Klimawandel nicht nur aufgrund ihrer geografischen Lage stärker betroffen. Sie können sich auch weniger vor den Folgen schützen, da die nötigen Mittel fehlen. Arme Menschen sind beispielsweise stark von Krankheiten und Gesundheitsproblemen betroffen, die durch den Klimawandel verstärkt werden: Malaria oder Durchfallerkrankungen, die bei Temperaturanstieg zunehmen, sowie Verkümmerung aufgrund von Unterernährung. Wassermangel führt zu schlechterer Hygiene, was die Verbreitung von Krankheiten erleichtert. Aufgrund von fehlender Infrastruktur sind diese Menschen Naturgefahren oftmals mehr ausgesetzt. Sie sind also deutlich stärker betroffen – nicht nur, weil sie anfälliger für klimabedingte Schocks sind, sondern auch, weil sie über weniger Ressourcen und Mittel zur Prävention, Bewältigung und Anpassung verfügen.

Hinzu kommt, dass es meist die weniger betroffenen Regionen der Industriestaaten sind, die am meisten zu den Treibhausgasemissionen beitragen. Das Bruttoinlandsprodukt korreliert nachweislich positiv mit dem CO2-Ausstoss eines Landes[4]. Zu diesem CO2-Ausstoss müsste sogar noch derjenige von importierten Produkten dazugerechnet werden.

Frauen als Teil der sozialen Dimension [5]

Das drittstärkste jemals aufgezeichnete Erdbeben im Jahr 2004 verursachte mehrere Tsunamis an den Küsten des Indischen Ozeans. Durch das Beben und seine Folgen starben rund 230’000 Menschen. Auffallend: Unter den Opfern sind viele Frauen.

Dabei spielt das biologische Geschlecht nur insofern eine Rolle, weil es mit der Zuordnung zu einer sozialen Gruppe einhergeht. Frauen erfahren aufgrund sozial geprägter Geschlechterrollen und patriarchalischer Gesellschaftsstrukturen Ungerechtigkeiten, die durch die Klimakrise verschärft werden. 

Dieses Phänomen zeigt sich besonders in ländlichen Regionen des Globalen Südens. Frauen haben grundsätzlich einen tieferen sozialen Status und weniger politische und wirtschaftliche Macht als Männer. Sie sind im traditionellen Gesellschaftsmodell für Haushalt und Familie zuständig, halten sich somit vor allem zuhause auf und sind auf sich alleine gestellt. Die Flucht wird durch traditionell lange Kleidung und mangelnden körperlichen Fähigkeiten erschwert, trotz allem sind sie während der Flucht für die Sicherheit der Kinder verantwortlich.

Zurückgelassene und überlebende Frauen tragen die weiteren Folgen. So ist es  schwierig, Sozialleistungen zu erhalten, da Familien oft im Namen des Mannes für Regierungs- und Versicherungszwecke eingetragen sind. 

Die Sicherheit der Frau leidet unter den Folgen der Klimakrise. Und zwar grundsätzlich. Von Vergewaltigungen, sexuellen Belästigungen und Gesundheitsproblemen in Flüchtlingslagern sind vor allem Frauen betroffen.

Frauen sind zusätzlich, vor allem in Ländern des Globalen Südens, wichtig in der Landwirtschaft, und generell stärker und häufiger von Armut betroffen, wodurch sie klimabedingten Veränderungen mehr ausgesetzt sind.[6,7] Das Bittere bei all dem: Frauen tragen auch weniger zur Verstärkung der Klimakrise bei als Männer. Ihr Pro-Kopf-Anteil am CO2-Ausstoß ist weltweit niedriger. 

Migration als mögliche Reaktion

Für manche bildet die Flucht die letzte Möglichkeit, sich vor den Folgen der Klimakrise zu schützen. Flucht im Zusammenhang mit der Klimakrise ist jedoch ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, was das Bestimmen exakter Zahlen und das Verständnis erschwert. Klar ist, dass die Grössenordnung nicht zu unterschätzen ist: Im Jahr 2017 waren 30.6 Millionen Menschen zusätzlich auf der Flucht, knapp zwei Drittel davon aufgrund von Naturkatastrophen – teilweise ausgelöst durch den Klimawandel [8].
Asiatische Länder sind besonders von solchen Ereignissen betroffen. [9]. Viele der aufgrund von Umwelt- sowie Klimaveränderungen Geflüchteten migrieren innerhalb des eigenen Landes. Diese Regionen müssen also zusätzlich zu den Belastungen durch den Klimawandel den Geflüchteten Schutz und Hilfe bieten können. [10] Fliehen Menschen über die eigene Landesgrenze hinaus, so entfällt ihr rechtlicher Schutz – im internationalen rechtlichen Term „refugee“ finden sie keinen Halt [11].

Nach einer erfolgreichen Wiederaufbauphase in Folge einer Naturkatastrophe können Geflüchtete wieder in ihren Heimatort zurückkehren. Handelt es sich aber um irreversible Veränderungen von Lebensgrundlagen, wie zum Beispiel einer Versalzung des Bodens, ist eine Rückkehr nicht mehr möglich [9]. Diese Menschen werden nicht nur ihrer Häuser beraubt, sondern auch ihrer Heimat.

Klimagerechtigkeit als Forderung

Das Haus brennt noch immer. Die Uhr tickt, immer mehr Stockwerke fangen Feuer. Wie weiter? Bewohner*innen müssen sich gegenseitig  helfen: gefährdete Personen warnen, Menschen und Tiere aus brennenden Räumen retten und sich gegenseitig Mut machen.

Mehr als je zuvor verursacht menschliches Handeln Umweltkatastrophen und daraus resultierende soziale Krisen. Klare Beziehungen zwischen Ursachen und Folgen sind schwer zu bestimmen, das Verursacherprinzip lässt sich nur bedingt anwenden. Trotzdem besteht unser Ziel darin, ein gerechteres System zu schaffen, mit der die Auswirkungen der Klimakrise verringert werden. Für das sind Regelungen nötig, durch welche diese Ungerechtigkeiten ausgeglichen werden. Deshalb fordert der Klimastreik Klimagerechtigkeit.

Michèle Arlati, Jasmin Annaheim, Céline Schwarz und Lina Gisler

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